Der Turnverein im Dritten Reich

Die innere Einstellung des Rüppurrer Turnvereins gegenüber der NS-Regierung in dieser Zeit ist schwer anhand der Vereinsakten auszumachen. Auf die meisten Vereine übte das Deutsche Turnfest 1933 in Stuttgart großen Einfluß aus. Erstmals in der Turngeschichte war mit Hitler ein Reichskanzler zugegen. Mit Hitlers Bekenntnis "zu Jahn, dem deutschen Volkstum und dem deutschen Turnen" erlebte das Turnen und der Sport eine bisher langersehnte Aufwertung. Tausende ließen sich von den mitreißenden Reden des Reichskanzlers berauschen, so auch der Turnverein Rüppurr, der mit 40 Teilnehmern in Stuttgart dabei war.

1934
60-jähriges Jubiläum

In einem Artikel der Zeitung "Der Führer" vom 5. Juli 1934 kann man anläßlich des 60-jährigen Jubiläums des Turnvereins Rüppurr folgendes lesen:

"Im Juli vorigen Jahres beging der Verein in treuer Kameradschaft mit der SA und den übrigen Ortsvereinen ein großes Spiel- und Sportfest, wobei hunderte Augenzeuge deutschen Sports waren."

Auf sämtlichen Sportfesten und Veranstaltungen der folgenden Jahre war von nun an jedesmal die NSDAP-Ortsgruppe eingeladen. Der Turnverein Rüppurr hatte als Anhänger der Deutschen Turnerschaft längst seinen Grundsatz der politischen Unabhängigkeit aufgegeben und sich in den Dienst der Nationalsozialisten gestellt. Allerdings blieb dem Verein im Rahmen der Gleichschaltung kaum eine andere Möglichkeit zur Weiterarbeit.

1936
Der Turnverein Rüppurr im Olympiajahr

Im Jahre 1936 standen alle Turnwettbewerbe und Turnveranstaltungen im Zeichen der Olympiawerbung, so auch das 31. Kreisturnfest vom 27.-28. Juni in Karlsruhe-Rintheim, an dem sich der Turnverein Rüppurr beteiligte. Die Regierung unter Adolf Hitler hatte sich zum Ziel gesetzt, den deutschen Sport in einer noch nie dagewesenen Größe und Macht auf der Olympiade in Berlin zu präsentieren.

Wie stark die Vereine unter Druck gesetzt wurden, diesem Ziele nahe zu kommen, verdeutlicht auch das Schreiben des Kreisturnleiters an den Rüppurrer Verein:

"Unser 31. Kreisturnfest mit Olympiawerbung muss eine machtvolle Kundgebung für das deutsche Turnen werden. Die Teilnahme der Wehrmacht (mit einer Sondervorführung) gibt ihm eine besondere Bedeutung. Schon deshalb darf kein Turner und keine Turnerin fehlen. Alles muss aufgeboten werden. Wer sich drückt, ist ein Verräter an unserer guten Sache."

Auch am 1. Gaufest des DRL vom 21.-28. Juli 1936 in Karlsruhe war der Turnverein mit zahlreichen Aktiven vertreten. Mit über 597 Vereinsriegen der Turner und Turnerinnen konnte noch nie zuvor eine so große Teilnehmerzahl bei einem Turnfest erreicht werden. Doch auch dieses Fest stand unter dem Druck der NSDAP, die drohte: "Vereine, welche hier nicht antreten, gelten ab 1. August 1936 als aufgelöst."

1939
Der Zweite Weltkrieg

Der Beginn des Zweiten Weltkrieges im September 1939 griff sehr nachhaltig in den Turnbetrieb in Rüppurr ein. Bald waren fast die Hälfte aller Vereinsmitglieder zum Kriegsdienst verpflichtet, wodurch die Männerabteilung ganz zum Erliegen kam. Trotz der finanziellen Not setzte sich die Vereinsleitung dafür ein, die eingezogenen Turnkameraden über die Geschehnisse des Vereins regelmäßig zu informieren und zu Weihnachten jedes Jahr ein kleines Päckchen zu schicken. Aus einem Rundschreiben vom 30. November 1941 des Vereinsführers Willi Bott an die Turnbrüder im Krieg gehen folgende Vereinsneuigkeiten hervor:

"Die gesamte wehrfähige Jugend des Turnvereins (ca. 40) befindet sich bei der Wehrmacht. Was in der Hauptsache noch da ist, das sind die über 40 Jahre und die Jugend unter 18 Jahren. Dazu kommen natürlich unsere Turnerinnen, die z.Zt. sehr auf Draht sind, sowohl im Turnen, als auch als erfolgreiche Handballerinnen. Auch die männliche Jugend ist eifrig beim Turnen und stellt zwei sehr gute Handballmannschaften, was Euch sicherlich interessieren dürfte."

Tatsächlich kann man feststellen, daß sowohl die Frauen- als auch die Jugendabteilung des Turnvereins über die Kriegsjahre einen sportlichen Aufschwung erlebten. Hauptsächlich wurde in dieser Zeit das Vereinsleben durch den Handballsport getragen. 1942 holte sich die männliche Jugend den Titel des Badischen Handballmeisters. Ein Jahr später errang dieselbe Mannschaft die Meisterschaft im Feldhandballspiel und war damit Gebietsmeister von Baden und Elsaß. Im Spätjahr 1944 wurde die weibliche und männliche Jugendmannschaft bei einem Hallenhandballturnier in Karlsruhe erneut Handballmeister.

1944

Ende Herbst 1944 war es auch dem Turnverein Rüppurr nicht mehr möglich, seine Vereinsaktivitäten aufrecht zu halten. Friedrich Eller, der 1944 die Vereinsleitung für den eingezogenen Willi Bott übernommen hatte, beschrieb später die Lage wie folgt:

"Eine schwere Zeit herrschte zu diesem Zeitpunkt, wo jeden Tag sowie bei Nacht nur noch Fliegeralarm zu hören war... Weitere Veranstaltungen konnte man nicht unternehmen, da die Zeit immer kritischer wurde."

Dem letzten und zugleich schwersten Luftangriff der Alliierten auf Karlsruhe im Dezember 1944 fiel auch das Turnerhäusle der Rüppurrer zum Opfer. Sämtliches vereinseigenes Inventar und fast alle Turngeräte wurden durch die Bomben zerstört. Der unbeschädigte Teil des Turnerheimes wurde 1945 unberechtigter Weise vermietet und konnte auch auf dem Klageweg nicht wieder zurückgewonnen werden.

 

Das Dritte Reich 1933-1945

Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler berufen, und kurze Zeit später erfolgte die Machtübernahme der NSDAP nach der gewonnenen Reichstagswahl am 5. März 1933. Ihr Ziel lautete: "Befestigung der totalen Macht der NSDAP und des 'Führerprinzips' durch 'Gleichschaltung'." Die Nationalsozialisten nahmen ab sofort die bedeutenden Führungspositionen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens ein. Reichsweit existierte nur noch eine Partei: die NSDAP. Alle anderen Parteien wurden verboten, die Gewerkschaften zerschlagen, die Pressefreiheit abgeschafft und die Grundrechte mehr oder weniger aufgehoben.

Die politische Entwicklung in Deutschland beeinflußte auch entschieden die turnerische Arbeit. So bekannte sich die Deutsche Turnerschaft (DT), der der Rüppurrer Turnverein angehörte, zum Nationalsozialismus und forderte alle Vereine auf, "sich mit aller Kraft der nationalen Erhebung des deutschen Volkes und ihrer Führer zur Verfügung zu stellen." Den Vorsitz der DT übernahm 1932 Edmund Neuendorff. Er setzte sich von nun an zwangsläufig für eine nach nationalsozialistischen Zielen ausgerichtete Arbeit innerhalb dieser Organisation ein.

Folglich wurde in die Satzung der DT der Arierparagraph aufgenommen. Er schrieb vor, daß alle männlichen und weiblichen Mitglieder der DT, die jüdischer Abstammung sind, aus der DT ausscheiden müssen. Es wurde keine Zeit verloren, diese Maßnahmen durchzuführen, damit das 2. Deutsche Turnfest in Stuttgart ohne jüdische Turner ausgetragen werden konnte. Nachdem Neuendorff 1933 aus der NSDAP austrat, wurde er auf Weisung des späteren "Reichssportführers" Hans von Tschammer und Osten abgesetzt. Unter dem Druck der Regierung löste sich im Mai 1933 der Deutsche Reichsausschuß für Leibesübungen (DRA) als selbständige Organisation in seiner bisherigen Form auf. Reichssportführer Tschammer und Osten verkündete daraufhin im Juli 1934 die Neuordnung der deutschen Turn- und Sportbewegung in dem neuen "Deutschen Reichsbund für Leibesübungen" (DRL), eine Vereinigung sämtlicher bürgerlicher Vereine und Verbände. Der deutsche Sport wurde jetzt in 21 Fachämter eingeteilt, wobei sich die DT als Fachamt 1 (Turnen) im DRL auf die Zuständigkeit der Gebiete Gerätturnen, Gymnastik und Sommerspiele beschränken mußte.

Der Einfluß der Nationalsozialisten auf die Sportvereine

Der Einfluß der Nationalsozialisten gewann immer stärker an Bedeutung. Im Juli 1934 traf der Reichssportführer zusammen mit dem Reichsjugendführer eine bedeutende Entscheidung für die Turn- und Sportjugend:

"In der Erkenntnis, daß es nur eine Jugend gibt und daß ihre Gesamterziehung nur in der Hitlerjugend erreicht werden kann, vertritt der Reichssportführer den Standpunkt, daß die Jugendlichen des Reichsbundes für Leibesübungen Mitglieder der Hitlerjugend sein müssen."

Den Vereinen des DRL wurde verboten, Jugendliche aufzunehmen, die nicht Mitglieder der HJ waren. Die Hitlerjugend hatte die Jugendarbeit übernommen, so daß der Besuch der Übungsstunden innerhalb der Vereine immer spärlicher wurde. Wer sportlich erfolgreich sein wollte, mußte sich auch politisch zur NSDAP bekennen.

Die Kontrolle der NSDAP über den Sport und dessen Organisationen fanden ihren Höhepunkt, als 1938 der DRL in den "Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen" (NSRL) umbenannt wurde. Dadurch war der Sport in Deutschland fest in die Partei eingegliedert, deren "politische Leibeserziehung" sich streng an die Prinzipien des Nationalsozialismus hielt. Darunter verstand man: "Erziehung zur Volksgemeinschaft, Rassenreinheit und Rassenbewußtsein, Wehrhaftigkeit, Kraft, Mut, Stärke und Führertum." Es handelte sich nicht mehr um Erziehung im traditionellen Sinn, die NSDAP forderte vielmehr die "totale Erfassung und Manipulation jedes einzelnen Menschen durch den totalen Staat."

Grundlage der Geschichtsseiten ist eine Wissenschaftliche Arbeit für die Zulassung zum 1. Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien unter dem Titel: "Die historische Entwicklung des Turn- und Sportvereins 1874 Rüppurr e.V. von den Anfängen bis heute", angefertigt im Dezember 1998 von Kirstin Klee aus Forst am Institut für Sport und Sportwissenschaft der Universität Karlsruhe unter Prof. Dr. Georg Kenntner.