Die Ereignisse des Rüppurrer Turnvereins von 1900 - 1918

1904

In den Jahren nach 1900 mußte der Verein einige schwierige Barrieren überwinden. Das Fußballspiel hatte in der nahen Haupt- und Residenzstadt Karlsruhe bereits festen Fuß gefaßt und somit auch in Rüppurr unschwer Anhänger gefunden. 1904 kam es daraufhin zur Gründung der Rüppurrer Fußballgesellschaft, in deren Mitgliedschaft auch sofort einige Turner eintraten. Die Turnsache hatte damit einen lebhaften Mitbewerber bekommen, der eine starke Anziehungskraft auf die sonst so turntreuen Männer ausübte.

Außerdem beeinträchtigte das Aufkommen der "Freien Turner" im Jahre 1907 die Weiterentwicklung der Deutschen Turnerschaft (DT). Ernst Deimling vom Turnverein Rüppurr schrieb dazu:

"Wie sehr die nun auch auf Turnen und Sport übertragenen Irrlehren des Marxismus in hiesiger Bevölkerung Platz ergriffen hatte, zeigt allein das Beispiel, daß aus unseren Reihen 28 Mitglieder übertraten."

Trotz allem schaffte es der 1. Vorsitzende Josef Kuch, die Mehrheit des Vereins von den Idealen Turnvater Jahns zu überzeugen und die Turner zu einer festen Gemeinschaft zusammen zu schweißen.

1907
Eingemeindung Rüppurrs zu Karlsruhe

Einen erneuten Aufschwung brachte die Eingemeindung Rüppurrs zu Karlsruhe im Januar 1907. Die Einwohnerzahl stieg sprunghaft an, und durch die Eingliederung des neuen Stadtteils ergaben sich viele Vorteile und Fortschritte für die ehemalige Dorfgemeinde Rüppurr. Die bereits 1897 gebaute Albtalbahn zwischen Karlsruhe und Ettlingen sorgte für erheblich verbesserte Verkehrsverbindungen. Aus dem Bauern- und Industiearbeiterdorf entwickelte sich langsam ein beliebter Wohnort. Im Zuge der Eingemeindung wurde von den Rüppurrern bei der Stadt Karlsruhe auch der Bau einer neuen Volksschule angeregt, da das bisherige Unterrichtsgebäude die gestiegene Schülerzahl nicht mehr aufnehmen konnte. Schon 1913 wurde die von Baudirektor Beichel konzipierte Riedschule und mit ihr die Schulturnhalle am Lützowplatz eingeweiht.

Mit dem Bau dieser Turnhalle ging für den Rüppurrer Turnverein ein langersehnter Wunsch in Erfüllung. Jetzt hatte man endlich eine geeignete Halle erhalten, die einen professionelleren Turnbetrieb ermöglichte. Was noch fehlte, war ein nahegelegenes Übungsgelände, welches der damalige 1. Vorstand Ludwig Schöchle bei der Stadt Karlsruhe beantragte. Auf der Stadtratsitzung vom 21. Mai 1908 wurde daraufhin folgendes beschlossen:

"Dem Kanninchen- und Geflügelzuchtverein Karlsruhe-Rüppurr wird ein Teil der Eichstettwiesen im Stadtteil Rüppurr zur Anpflanzung von Futter für Kanninchen und Geflügel mietweise überlassen. Ein anderer Teil derselben Wiese wird dem Turnverein Rüppurr zur Vornahme turnerischer Übungen mietweise zugewiesen."

Am 10. Juni besiegelte ein Mietvertrag die Überlassung der 4000 qm große Wiese im "Gewann Eichstettwiesen" für 8 Mark Pacht im Monat.

1911

Auf dem X. Turntag des Deutschen Turnerbundes wurde zur Förderung der Bewegungsspiele ein Spielverband ins Leben gerufen, dem sich auch der Turnverein Rüppurr 1911 anschloß. Die daraufhin eingeführten Rasenspiele zwangen den Verein jedoch schon bald, ein größeres Grundstück anzufordern. Mit Einverständnis des Kaninchenzuchtvereins erhielt der Turnverein Rüppurr von der Stadt Karlsruhe im Anschluß seines 1908 bereits gepachteten Geländestücks ein Teil der "Fautenbruchwiesen" zugewiesen. Von nun an konnte der Verein auf einer Fläche von 6360 qm seinem regen Turnbetrieb nachgehen.

Als Höhepunkte besonderer Art müssen noch die großen Turnfeste in dieser Zeit erwähnt werden, an denen die Turner des Rüppurrer Vereins begeistert teilnahmen. Besonders das Gauturnfest 1912 in Freiburg hinterließ unvergeßliche Erinnerungen. Mit 22 Turnern hatte sich damals der Verein unter der Leitung von Turnwart Eller am Vereinswetturnen beteiligt. Zu einem der erfolgreichsten Mitglieder zählte Philipp Städele; mehrfach ging er als Sieger aus Turnwettkämpfen hervor und galt lange Jahre als Seele des Vereins. Auch sein Kollege Max Kuch gehörte aufgrund seiner hervorragenden Leistungen zur Gauriege beim Deutschen Turnfest in Nürnberg.

1914
40-jähriges Jubliäum

Im Frühsommer 1914 konnte der mittlerweile über 120 Mitglieder zählende Turnverein sein 40-jähriges Jubiläum begehen. "Noch einmal fand sich eine unübersehbare Festgemeinde bei dem feiernden Verein ein; in überquellender Freude erging sich jedermann an den erhebenden Eindrücken dieser wahrhaft denkwürdigen Jubeltage."

Der Ausbruch des 1. Weltkrieges Anfang August 1914 bereitete dem Turnbetrieb ein jähes Ende. Die Mehrzahl der Mitglieder, Turnwarte und Vorturner wurden zum Heeresdienst eingezogen oder meldeten sich freiwillig. "180.000 deutsche Turner blieben auf der Wallstatt, auch der Turnverein Rüppurr kann 34 für Volk und Vaterland gefallene treue Turnkameraden aufweisen."

 

 

Der aufkommende Konflikt zwischen Turnen und Sport im 20. Jahrhundert

Die Jahre nach 1900 waren eine Zeit der Um- und Neugestaltung auf verschiedenen Lebensgebieten, auch das Turnen wurde davon erfaßt. Der Sport hatte sich in England als eine eigenständige Arbeitsweise der Leibeserziehung herausgebildet. Charakteristisch für den Sport war der Wettkampfgedanke. Höchstleistungen und Rekorde wurden angestrebt, dabei zählte nicht die Form der Ausführung, sondern nur der Erfolg. Die Entwicklung führte dabei vom Individual- zum Mannschaftssport und damit zum Wettspiel wie z. B. dem Fußballspiel. Die Spielbewegung aus England weckte besonders bei der Jugend starkes Interesse.

Die Turner reagierten auf diese Erscheinungen mit größtem Widerstand. Die Deutsche Turnerschaft (DT) richtete sich entschieden gegen die Aufnahme von Sportspielen in den Turnbetrieb. Durch die Herausstellung eines alleinigen Siegers bei den Wettspielen befürchtete man den Verlust von Gemeinschaftssinn, Kameradschaft und ursprünglicher Bewegungsfreude als eigentlichen Sinn des Turnens. Die neuen Werte des Sports waren die gemessene Höhe, Weite, Zeit und Leistung, dagegen strebte das Turnen Tugendhaftigkeit, Sittlichkeit und Nationalismus an. Die deutschen Turner waren "für das Laufen an der frischen Luft, aber gegen den sportlichen Wettlauf und den Langstreckenlauf; sie waren für das Weitspringen, aber gegen den Weitsprung mit Absprung von einem Sprungbalken; sie waren für das Hochspringen, aber gegen die Hochsprunglatte." Außerdem vermißte man beim Sport die Ästhetik, die bei den Turnübungen immer eine bedeutende Rolle gespielt hatte. Die sportliche Ausführung war nicht mehr an genau festgelegte Bewegungsbeschreibungen gebunden, sondern hatte nur das Ziel, Höchstleistung zu bringen. Daraus ergaben sich zahlreiche Konflikte. Ein weiterer Grund für die ablehnende Haltung der Turner kann auf die Forderung der Spielbewegung nach internationalen Vergleichen in Form von Länderkämpfen u.ä. zurückgeführt werden. Die Leibesübungen sollten national bleiben, um dem "Vaterlande ein tatkräftiges, frisches Geschlecht" heranzuziehen.

Bald mußten die Vereinsturner erkennen, daß der Einzug der Sportbewegung in Deutschland nicht aufzuhalten war. Um zu verhindern, daß immer mehr sportbegeisterte Jugendliche die traditionellen Turnvereine verließen, mußten Neuerungen in den Turnbetrieb aufgenommen werden. Die sogenannten Turnspiele wurden eingeführt. Es handelte sich dabei um Bewegungs- und Ballspiele (Faustball, Trommelball, Schlagball), bei denen das Laufen, Springen und Werfen im Vordergrund stand. Im wesentlichen unterschieden sich die Turnspiele jedoch nicht von den "neuen" Spielen aus England. Zusätzlich erweiterte man die Gerätübungen durch neue Übungen wie Steinstoßen, Weithochsprung und Lauf, die man ebenfalls im Freien und auf Rasenflächen ausüben konnte. Im Grunde genommen handelte es sich dabei um sportlich-leichtathletische Übungen, aber man sprach zunächst vom "volkstümlichen Turnen". Diese Bezeichnung brachte zum Ausdruck, daß die Erweiterung turnerischer Betätigung plötzlich einen viel größeren Kreis der Bevölkerung ansprach, so daß sich die Zahl der ausübenden Turner wieder vermehrte. Bis auf wenige Konservative "hielten alle Fachleute für Leibesübungen und körperliche Erziehung in Deutschland Spiele und auch sportliche Übungen und Wettkämpfe nun für eine wertvolle Ergänzung des Turnens und für eine Belebung des Turnunterrichts an der Schule."

Auch der Rüppurrer Turnverein verlor im Zuge der Spielbewegung einige Mitglieder, die zur Rüppurrer Fußballgesellschaft 04 übergetreten waren. In wieweit sich die Haltung des Vereins gegenüber dem Konflikt zwischen Turnen und Sport äußerte, kann nicht mehr in Erfahrung gebracht werden. Jedenfalls wurde 1911 extra ein größeres Geländestück gepachtet, um die Bewegungsspiele (Turnspiele) innerhalb des Turnvereins zu fördern. Eigenständige Sportabteilungen gründeten sich erst nach dem Ende des 1. Weltkrieges mit dem Wiederaufbau des Vereins.

Grundlage der Geschichtsseiten ist eine Wissenschaftliche Arbeit für die Zulassung zum 1. Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien unter dem Titel: "Die historische Entwicklung des Turn- und Sportvereins 1874 Rüppurr e.V. von den Anfängen bis heute", angefertigt im Dezember 1998 von Kirstin Klee aus Forst am Institut für Sport und Sportwissenschaft der Universität Karlsruhe unter Prof. Dr. Georg Kenntner.